Weihnachten
Es ist September, der Herbst fängt erst richtig an, doch wenn man mal genau hinschaut, kann man schon überall in den Ladenregalen sehen, wie da Weihnachtsmänner aller Größen nebeneinander stehen, nebst Lebkuchenherzen und Nougatnüssen und, wie alle Kinder wissen, Marzipan und Nikolausschuh gehören stets auch mit dazu. Der alte Verkäufer Heinrich Kulmann sieht sich das Ganze genervt an. "Jetzt geht der rummel wieder los!", denkt er bloß. "Nun höre ich sicher bald schon wieder täglich acht Stunden Weihnachtslieder! Und dann dieser Kitsch...!" Herr Kulmann sieht sich um. Was liegt da nicht alles für Blödsinn herum! Ein Weihnachtsmann, der lacht und spricht, ein Plastikengel mit Babygesicht, eine Mischung aus Hexenhaus und Bethlehemstall und dazwischen ein Weihnachts-Dinosaurier für jeden Fall. "Wer wird sich wohl hierher verlaufen und diesen ganzen Unfug kaufen?" So fragt er sich einen Augenblick und wehmütig denkt er an früher zurück. Damals, als er klein war, bei ihm zu Haus, da fiel das Ganze viel ärmlicher aus. Mit ein paar Äpfeln und einigen Nüssen hatte er sich begnügen müssen. Ein Schoko-Weihnachtsmann war ihm damals fremd. Zu Weihnachten gab's dann ein neues Hemd, wenn's nötig war, auch ein Paar Schuh und eine Hose noch dazu. Spielzeug hatte er selten bekommen, doch das wurde als ganz normal hingenommen. Und doch, es war irgendwie schöner gewesen. Abends hatte Vater dann immer vorgelesen, wie Jesus zu den Menschen gekommen war. Diese Geschichte war einfach wunderbar. "Weißt du", hatte Vater dann immer erzählt, "als Jesus kam, hat es von vorn bis hinten gefehlt. Nicht mal ein Bettchen hatte er! Und doch war er der ganzen Welt Herr... Er war ärmer dran als der letzte Hund. Man hetzte sogar Mörder auf ihn - ohne jeden Grund! Doch, Heinrich, das hat er alles auf sich genommen, damit keiner sagen kann, er wär' nicht auch für ihn gekommen. Denn alles Leid, das Menschen hier durchstehen, das hat Gottes Sohn doch selbst schon gesehen. Er tauschte den Himmel gegen eine miese Welt. Damit uns unsere Schuld von Gott nicht mehr fernhält, ging er für uns später sogar bis in den Tod - glaub' mir, Heinrich, er kennt all unsere Not! Doch dann ist er auferstanden, und deswegen ist er jetzt bei dir auf all deinen Wegen. Er will dein Freund sein, vertrau ihm, mein Kind! Er hält noch zu dir, wenn alle anderen gegen dich sind! Vergiss das nie, denn die richtige Weihnacht wird erst dadurch zum Freudenfest gemacht. Dass Jesus zu uns kam, weil er uns liebt, das ist der Grund, warum es Weihnachten gibt!" Dann hatte Vater gebetet und man sah ihm echte Freude an. Ja, und dann hatten sie stets aus vollen Lungen die schönsten Weihnachtslieder gesungen. Sie waren fröhlich gewesen und hatten viel gelacht. "Was hat man nur aus Weihnachten gemacht!" Irgendwie traurig schaut Herr Kulmann sich all die Weihnachtsartikel an. Als er sich so umschaut, da wird ihm klar, dass sein Weihnachten damals nicht ärmlicher war. Reicher war es, denn er hatte kapiert, dass Jesus, der alles als Herr regiert, einst in den letzten Dreck kam, den es nur gibt, weil er ihn, den Heinrich, so sehr liebt. Eine Engelchen-Spieluhr geht plötzlich los. Herr Kulmann denkt nach - wie heißt das Lied bloß? Da fällt ihm der ganze Text wieder ein. "Oh du fröhliche" - das muss es sein! Er singt das Lied leise vor sich hin. Was hat es doch für einen tiefen Sinn! "Welt ging verloren, Christ ist geboren" - auch für die Menschen unserer Zeit! "Freue, freue dich, oh Christenheit"
copyright Heidi Schmidt |